2016-02-24

#rpTEN-Speaker: Geoffroy de Lagasnerie - Der Philosophie-Shooting-Star

VerräterInnen? Feiglinge? HeldInnen?

Assange, Mitbegründer von Wiki-Leaks, sitzt noch immer in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Manning, die Kriegsverbrechen von Amerikanern im Irak Krieg enthüllte, ist dafür in Amerika inhaftiert. Snowden machte die Spitzeleien der NSA öffentlich und versucht von Moskau aus ein sicheres Exil zu finden. Die drei Whistleblower gelten für die einen als Verräter, befinden sich in der Isolation und scheinen damit zunächst gescheitert. Für die anderen sind sie Helden und in Geoffroys de Lagasneries aktuellem Buch „Die Kunst der Revolte“ (Suhrkamp) neue Prototypen politischer Subjekte.

Der französische Intellektuelle, gerade einmal Anfang 30, lehrt Philosophie an einer Pariser Kunsthochschule. Die Überlegungen in seinem Buch sind theorielastig – aber die Arbeit damit lohnt sich! Die drei Whistleblower eint zunächst ihr „verdecktes Handeln“, gegeben durch die Möglichkeiten des Internets, und die Flucht beziehungsweise das Exil. Geoffroy sieht an ihren Strategien zum einen neue Möglichkeiten des politischen Handelns, zum anderen definieren Assange, Manning und Snowden damit nicht zuletzt die „politische Bühne“ neu.

‚Neu‘, da diese Formen des widerständigen Handels keine Formen des „zivilen Ungehorsams“ seien. Denn sie würden nicht versuchen, das aus den Fugen geratene Recht wieder zu zurückzuholen: Also etwa indem jemand ungehorsam ist, eingesperrt wird und die Strafe absitzt – also innerhalb des kritisierten Systems agiert. Die Neuheit ihres politischen Handelns ist, sich mithilfe des Internets dem politischen System zu entziehen, dessen Regeln das Problem darstellen.

Wir könnten durchaus kritisieren, dass gerade zum politische Handeln der offene Diskurs gehört – etwas, das gerade im Netzt oft eben nicht praktiziert wird. Jedoch sind Geoffroys theoretische Überlegungen beeindruckende Gedankenspiele. Denn er verbindet seine Analyse zu Assange, Manning und Snowden mit einer Idee des neuen demokratischen Staates. Dass dieser nötig ist, das zeigen gerade die Formen des Widerstands jener Whistleblower. Um ihrem Gewissen zu folgen, waren Anonymität und das Sich-Entziehen nötig. Schließlich gewährte ihnen der (National-)Staat nicht nur keinen Schutz bei der Äußerung von Kritik, sondern verfolgte ihre Taten strafrechtlich.

Die Schlussfolgerung ist klar: Das politische Subjekt muss den Staat also von außen kritisieren (dürfen), ergo muss dies außerhalb der Nation – als Weltbürger – geschehen können. Die „politische Bühne“ muss somit neu definiert werden, die Gemeinschaften müssen frei wählbar sein und nationale Zugehörigkeit dürften keine Parameter mehr sein!

Geoffroy gehört zu den gefragten Philosophen dieser Tage. Das Feuilleton diskutiert sein Buch und bald wird es ein ausführliches Interview im öffentlich-rechtlichen TV geben. Erst Anfang Februar sprach er auf der Transmediale und vergangen Herbst wurde er zu den Attentaten in Paris befragt. Wir freuen uns sehr, dass Geoffroy auf der #rpTEN dabei ist.

@gdelagasnerie

Bildnachweis: Raphael Schneider